Der Leipziger
Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Werner Krauss (1900-1976)
- DDR-Nationalpreisträger, Mitglied der Berliner Akademie
der Wissenschaften, Romanist und Hispanist mit „weltweitem
Gelehrtenruf“ - war Geheimer Informator (GI) des Ministeriums
für Staatssicherheit. Er denunzierte Kollegen und Studenten,
verriet seinen Lieblingsschüler an die Stasi.
„Mitte Vierzig, schlank, groß,
kühn aufgebuschte Mähne, mehr Künstler- als
Gelehrtentyp.“ So beschrieb der durch seine Tagebücher
heute berühmtere Dresdner Ordinarius Victor Klemperer
seinen damaligen Marburger Kollegen nach der ersten Begegnung
1946. Klemperer verband seither mit Krauss ein besonderes
Verhältnis: einerseits „große Herzlichkeit“,
„große Freundschaft“.
Aber auch steter Neid und heftige Konkurrenz bis zum Tod.
Victor Klemperer empfand es „als Keule auf den Kopf“,
als Krauss den von ihm selbst so sehr ersehnten Leipziger
Lehrstuhl für Romanistik erhielt. Denn Krauss hatte ihm
vorher noch geschmeichelt, Klemperer gebühre Leipzig.
Für Werner Krauss in Leipzig sprach:
Widerstand in der Schulze-Boysen-Gruppe, Verhaftung, Todesurteil,
fünf Jahre Zuchthausstrafe, KZ und Befreiung durch die
Alliierten. Dies sind die entscheidenden Stichworte eines
über jeden Zweifel erhabenen antifaschistischen Lebenslaufs.
Die hierdurch gewonnene „moralische Autorität“
besaß Werner Krauss nicht nur für das MfS. Sie
wirkt bis in unsere Gegenwart.
Seinen innovativen literaturgeschichtlichen Arbeiten verdankte
Werner Krauss den Ruf als einer der bedeutendsten Literaturwissenschaftler
unseres Jahrhunderts. Victor Klemperer diagnostizierte bei
sich einen regelrechten „Minderwertigkeits-Complex“:
„Ein Teil seiner Unterhaltung ist so gelehrt, daß
ich nur immer ja, ja sage u. mir innerlich wie ein Nichts
vorkomme.“
Sein Buch über den Dichter des Don
Quijote, Miguel de Cervantes, war selbst in Spanien eine Sensation.
Berühmt wurde Werner Krauss als Literaturtheoretiker
mit seinem Aufsatz Literaturgeschichte als geschichtlicher
Auftrag (1950). Das Lehrbuch Grundprobleme der Literaturwissenschaft
von 1968 wurde in der alten Bundesrepublik in hoher Auflage
produziert und rezipiert. Vor allem aber war Krauss der große
Forscher zur Aufklärung Deutschlands, Frankreichs, Spaniens
- fast der halben Welt.
Der ehemals bürgerliche Literaturprofessor
Werner Krauss war an der Universität Leipzig die ideale
Besetzung für den Part des ideologischen Kämpfers
gegen die bürgerliche Wissenschaft. Vor dem Beginn der
inoffiziellen Kooperation der Leipziger Bezirksverwaltung
des MfS mit Werner Krauss stand ein „Ermittlungsbericht“
des Unterleutnants Meyer. Mit diesem Stasi-Mitarbeiter hatte
offensichtlich auch Hans Mayer - verschwiegenen - persönlichen
und dienstlichen Kontakt. |