Deckname „Roland“.
Die Stasi über Werner Krauss
(Stand: 01.09.1999)
 

Der Leipziger Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Werner Krauss (1900-1976) - DDR-Nationalpreisträger, Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, Romanist und Hispanist mit „weltweitem Gelehrtenruf“ - war Geheimer Informator (GI) des Ministeriums für Staatssicherheit. Er denunzierte Kollegen und Studenten, verriet seinen Lieblingsschüler an die Stasi.

„Mitte Vierzig, schlank, groß, kühn aufgebuschte Mähne, mehr Künstler- als Gelehrtentyp.“ So beschrieb der durch seine Tagebücher heute berühmtere Dresdner Ordinarius Victor Klemperer seinen damaligen Marburger Kollegen nach der ersten Begegnung 1946. Klemperer verband seither mit Krauss ein besonderes Verhältnis: einerseits „große Herzlichkeit“, „große Freundschaft“.
Aber auch steter Neid und heftige Konkurrenz bis zum Tod. Victor Klemperer empfand es „als Keule auf den Kopf“, als Krauss den von ihm selbst so sehr ersehnten Leipziger Lehrstuhl für Romanistik erhielt. Denn Krauss hatte ihm vorher noch geschmeichelt, Klemperer gebühre Leipzig.

Für Werner Krauss in Leipzig sprach: Widerstand in der Schulze-Boysen-Gruppe, Verhaftung, Todesurteil, fünf Jahre Zuchthausstrafe, KZ und Befreiung durch die Alliierten. Dies sind die entscheidenden Stichworte eines über jeden Zweifel erhabenen antifaschistischen Lebenslaufs. Die hierdurch gewonnene „moralische Autorität“ besaß Werner Krauss nicht nur für das MfS. Sie wirkt bis in unsere Gegenwart.
Seinen innovativen literaturgeschichtlichen Arbeiten verdankte Werner Krauss den Ruf als einer der bedeutendsten Literaturwissenschaftler unseres Jahrhunderts. Victor Klemperer diagnostizierte bei sich einen regelrechten „Minderwertigkeits-Complex“: „Ein Teil seiner Unterhaltung ist so gelehrt, daß ich nur immer ja, ja sage u. mir innerlich wie ein Nichts vorkomme.“

Sein Buch über den Dichter des Don Quijote, Miguel de Cervantes, war selbst in Spanien eine Sensation. Berühmt wurde Werner Krauss als Literaturtheoretiker mit seinem Aufsatz Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag (1950). Das Lehrbuch Grundprobleme der Literaturwissenschaft von 1968 wurde in der alten Bundesrepublik in hoher Auflage produziert und rezipiert. Vor allem aber war Krauss der große Forscher zur Aufklärung Deutschlands, Frankreichs, Spaniens - fast der halben Welt.

Der ehemals bürgerliche Literaturprofessor Werner Krauss war an der Universität Leipzig die ideale Besetzung für den Part des ideologischen Kämpfers gegen die bürgerliche Wissenschaft. Vor dem Beginn der inoffiziellen Kooperation der Leipziger Bezirksverwaltung des MfS mit Werner Krauss stand ein „Ermittlungsbericht“ des Unterleutnants Meyer. Mit diesem Stasi-Mitarbeiter hatte offensichtlich auch Hans Mayer - verschwiegenen - persönlichen und dienstlichen Kontakt.