Dies
ist keine Gelehrtenbiographie. Obwohl Prof. Dr. jur. Dr. h.c.
Hans Mayer (1907-2001), für eine gewisse Zeit der in
Deutschland wohl bekannteste deutsche Literarhistoriker war,
nach vorherrschender Meinung einer der großen Gelehrten
des 20. Jahrhunderts, mit „Weltruf“.
Dies ist auch keine Heldengeschichte. Obwohl
die ganze Schar der Freunde der Aufklärung in Deutschland
– insbesondere der Verlag, die Schüler und Anhänger,
das Feuilleton - ihn nicht nur in ihren Nachrufen zum heroischen
„Aufklärer und Bekenner“ erklärten,
gar zum „Lehrer für uns Deutsche“.
Dies ist vielmehr nur eine kleine Streitschrift,
welche - in der Tradition Lessings - die „geschminkte
Unwahrheit“ daran hindern soll, „sich an der Stelle
der Wahrheit festzusetzen“. In Leipzig und anderswo
zum Beispiel gibt es heute noch von gewissen Wahrheiten befreite
Zonen, geistig beherrscht von einer vorgeblich der Aufklärung
verpflichteten Melange: lokale Politiker und Beamte, Schriftsteller,
örtlich ansässige (ehemals die rote Fahne vorantragende)
Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsender.
Das von den modernen Aufklärern produzierte
Bild Hans Mayers verdüstert unsere Vergangenheit und
unsere Gegenwart. Und die Zukunft? Zu den Webern an den Hans-Mayer-Legenden
zählen, und dies macht die Kritik notwendig, z.B. Bundespräsident
Johannes Rau, der Literaturnobelpreisträger Günter
Grass, die ehemalige große DDR-Schriftstellerin Christa
Wolf. Sie alle halfen nicht nur mit, H.M. die Ehrenbürgerschaften
der Städte Köln und Leipzig, die Ehrendoktorwürde
der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig
zu verschaffen, sondern sogar sein geistiges und persönliches
Vermächtnis der Jugend zu empfehlen. Doch zum Lehrer
der Deutschen taugte Mayer nicht.
Dieses kleine Buch wird auch die Legende
vom großen Aufklärer und Bekenner H.M. zerstören.
Die hier erstmals präsentierten Quellen bringen über
ihn andere Wahrheiten ans Licht. Nicht nur dort, wo er sich
nicht oder falsch erinnerte, sondern vor allem dort, wo er
schwieg und log. In seinem autobiographischen Werk behauptete
H.M., Lügen hätten ihn stets gelangweilt. Lieber
schwieg er - „meistens“. Hans Mayer, so sollte
man deshalb glauben, log in seinem Leben und seinem üppigen
selbstbiographischen Werk nicht. Tatsächlich aber scheute
er die Aufklärung wie der Teufel das Weihwasser, wenn
sie sich auf sein eigenes Leben und Werk bezog.
Trotzdem hätte ich das Büchlein gar nicht erst
angefangen, würde nicht der Suhrkamp Verlag seit langer
Zeit die historische Studie des Leipziger Universitätshistorikers
Hans-Uwe Feige über Hans Mayers Leipziger Phase aus „programm-kompositorischen
Gründen“ unterschlagen haben. Der Unterschleif
des sich als Stellvertreter der Aufklärung in Deutschland
gerierenden Verlegers ist moderne Zensur. Sie ist auch geistige
Nötigung. Denn es sollten überall nur noch gelten
die werblichen Thesen des Verlages.
Die mir als erstem zugefallenen Unterlagen des Ministeriums
für Staatssicherheit der DDR bewiesen bereits eine andere
Wahrheit, als die von Hans Mayer selbst, dem Suhrkamp Verlag
und seinen anderen aufgeklärten Freunden bis heute verbreitete.
Die später eingesehenen Akten des Berliner Oberreichsanwaltes
über Hans Mayer mit dem Haftbefehl wg. Vorbereitung zum
Hochverrat, den Urteilen gegen die verleugneten Weggefährten
des Widerstandes, den Aussagen von Mutter und Onkel vor der
Kölner Staatspolizei riefen nochmals die unheilvollen
Geister der deutschen Vergangenheit des 20. Jahrhunderts hervor.
Widerstandskämpfer der KPO, Mutter und Onkel sagten anderes
aus, als Hans Mayer später schrieb und seine Freunde
nachsangen. Dazu kamen schließlich schweizerische und
deutsche Polizei- und Justizakten, hier ebenfalls erstmals
präsentiert.
Von hier aus beschränke ich mich im wesentlichen auf
ein ganz schlichtes Verfahren: Ich setze die Angaben und Erinnerungen
Hans Mayers einfach neben die erstmalige Präsentation
von Dokumenten aus bislang noch nicht genutzten Quellenkonvoluten.
Die neuen Quellen erlauben eine kontrastierende Bildbeschreibung.
Sie beweisen andere Wahrheiten, als die von Hans Mayer, seinen
Freunden, Schülern und Verehrern behaupteten und geglaubten.
Dem von Hans Mayer selbst gemalten Bild, dem von seinen aufklärerischen
Freunden überlieferten geschminkten Porträt wird
nun eine aus anderen Quellen geschöpfte Skizze gegenübergehängt.
Wir sind indes weiterhin weit davon entfernt, bereits ein
annähernd vollständiges Bild Hans Mayers anhand
der Quellen zeichnen zu können. Hierzu fehlen noch viele
Dokumente. Über Wahrheit und Wahrhaftigkeit, über
Form und Inhalt von Selbst- und Fremdbildnis in diesem begrenzten
Rahmen vermag nun jedoch der Betrachter bereits zu richten.
Ihm ist damit ein neuer Vergleich zwischen der Wahrheit der
modernen Aufklärer und der Wahrheit einer romantischen
Wissenschaft eröffnet, die wahrhaftige Erbin der Aufklärung
ist.
Rheydt, im März 2003
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